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"Ein einzigartiger Meilenstein in der Filmgeschichte" Variety (USA), 1982
Die Chronik der "Kinder von Golzow", um deren Abschluss es uns gehen musste, hat die DEFA und die DDR überlebt. Mit dem zehnten Film, "Drehbuch - Die Zeiten; Drei Jahrzehnte mit den Kindern von Golzow und der DEFA" (1992), war sie trotz oder gerade wegen ihrer außergewöhnlichen Dimension erstmals nach der deutschen Wiedervereinigung erneut erfolgreich. Neun Festivals auf drei Kontinenten zeigten den 284-Minuten-Film. Fünf Fernsehstationen in Deutschland und Österreich strahlten ihn sogleich aus. Inzwischen auch andere.
Für eine Veröffentlichung weitergeführter "Lebensläufe" ist schon zu DDR-Zeiten viel Material gedreht und dem seit 1961 bestehenden Archiv hinzugefügt worden. Waren es in "Lebensläufe" noch neun Golzower Porträts, so ließen sich seitdem weitere aus der ehemaligen Schulklasse gestalten, auch wenn nicht jedes in der Gegenwart endet.
Bis 2007 haben wir die verbliebenen Lebensgeschichten aus dem wohl bekanntesten deutschen Dorf "im Block" vorgestellt und so das Bild einer Generation abgerundet. Der ursprüngliche Plan, das Langzeitprojekt zur Jahrtausendwende zu beenden, scheiterte aus Mangel an kontinuierlicher Finanzierung. Der Gewinn liegt in weiteren Drehjahren.
Für Ethnologen, Soziologen, Lebensweise-, Biographieforscher und Forscher anderer Disziplinen ist die Golzower Chronik angesichts des Trends, 'Geschichte von unten' als neues wissenschaftliches Feld zu betrachten, von besonderem Interesse. Und nicht zuletzt ist es als ein Stück Geschichte des neueren Dokumentarfilms und der DEFA von Wert. Partner für den Einsatz der Golzow-Filme werden sich weiterhin in Kinos, die sich des künstlerisch besonderen Films annehmen, Hochschulen sowie anderen Bildungseinrichtungen finden, wobei meist schon DVDs eingesetzt werden.
Erwähnenswert ist auch, dass das Langzeitprojekt inzwischen verschiedene wissenschaftliche Publikationen hervorgebracht hat. Längst in der einschlägigen Literatur zur Dokfilmgeschichte zu finden, entzieht sich die Chronik übrigens gewöhnlichen Bewertungsmaßstäben für Filmarbeit und stellt, unabhängig vom Grad kommerzieller Nutzung, einen Wert an sich als filmisch-soziologisches Kulturgut dar.
Geht man davon aus, dass der Erfolg von Dokumentarfilmen nicht vorrangig und sofort an der Kasse zu messen ist, sondern an ihrer Kenntnisnahme als Zeitdokument überhaupt, so waren und sind die Filme der Langzeitchronik über die "Kinder von Golzow" sehr erfolgreich. Ihre Teilnahme an Festivals, gelegentliche Preise, die ständige Aufmerksamkeit der Presse und Zuschauerpost belegen das immer wieder neu. Vor allem aber über das Fernsehen erreichten "Lebensläufe" und die neueren, in der Bundesrepublik produzierten Filme ein großes Publikum.
Sie finden bei Zuschauern aus unterschiedlichen sozialen und Bildungsschichten Interesse und bedeuten insbesondere Menschen in den neuen Bundesländern viel. Die Gründe liegen auf der Hand. Mehr und mehr gewinnen sie sich aber auch Publikum im Westen Deutschlands und befördern so auf ihre Weise die innere Einheit unseres Volkes.
"Die Kinder von Golzow sind ein Abenteuer mit offenen Karten und offenem Ausgang" epd-film, Frankfurt (Main) 1999
Es ist allein schon die "Addition der Lebenstatsachen", die der Langzeitchronik eine eigene "Ästhetik des Alltäglichen" gibt. Politisch gesehen ist es der "gewöhnliche Sozialismus", der über weite Strecken porträtiert wird. Daraus ist in den Jahren seit 1990 ein Dokument des deutschen Vereinigungsprozesses geworden, wie er sich im Fortgang der Lebensgeschichten spiegelt.
Der "Faktor Zeit" erweist sich dabei als Interpret und eröffnet hier der Gattung Dokumentarfilm eine bisher nicht gekannte Wirkungsmöglichkeit. Der Zeitraffereffekt verleiht dem Alltäglichen, Gewöhnlichen eine historische Dimension und macht es dadurch bedeutsam. Der Zuschauer wird auf eine Entdeckungsreise durch die Zeitläufte seines Lebens mitgenommen. Das Panorama so verschiedener Lebensläufe ermöglicht ihm, sich mit Zeitgenossen in Vergleich zu setzen. Eine Gelegenheit zur Identifikation, die ihm so nur ein authentisches Medienerlebnis verschaffen kann.
Ursprünglicher Auftrag - und von uns lange Zeit ehrlich mitgetragen - war es, am Beispiel der Entwicklungswege von Kindern, die gemeinsam eingeschult wurden - und damit einer Generation - den Prozess der Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaftskonzeption in einem Teil Deutschlands zu dokumentieren und in Einzelporträts das Menschenbild zu erfassen, das sich in diesem Prozess herausbildet.
Trotz der dabei sichtbar werdenden Fehlentwicklungen dem wohlbekannten‚ »sozialistischen Gange« vertrauend, waren wir darauf eingerichtet, einem 50. Jahrestag der DDR im Jahre 1999 "entgegen zu dokumentieren". Wir bekamen dafür unser jährliches Geld, versprach man sich von den Golzowern doch offiziell weiterhin den Beleg, zu den »Siegern der Geschichte« zu gehören.
Sieht man den Versuch, den Sozialismus in Deutschland von der Idee in die Praxis zu überführen und die DDR unter diesem Aspekt nun als eine historische Episode, so bietet unsere Dokumentation durchaus Studienmaterial, das zu bewahren lohnt und künftigen Betrachtern auch etwas von der Physiognomie einer besonderen "Spezies Mensch" verrät: des geborenen und - wie man so sagte - "gelernten DDR-Bürgers", seiner ihn prägenden und von ihm geprägten Lebensumstände.
Am Herbst '89 ist in der DDR das gesellschaftliche Ziel, dem die Chronik verpflichtet war, endgültig gescheitert. Vom kommunistischen Jahrtausend, in dem die Enkel der Golzower leben werden, kann keine Rede mehr sein. Die Chronik, für die das Leben das Drehbuch schrieb, hat Schritte auf das erstrebte Ziel über einen langen Zeitraum ebenso festgehalten wie sie Rückschläge und Defizite registrierte, ob uns das immer bewusst war oder nicht. Nun lässt sich mit dem Zuschauer über das Eingekommene, das mit einem Schlag historisch gewordene Material, gemeinsam nachdenken.
Ist auch der Versuch, der sich mit dem Begriff DDR verbindet, gescheitert, so doch nicht das ihn begleitende filmische Experiment. Es ist das Dokument einer Generation, deren Werden in hohem Maße miterlebt und auch in späterer Zeit nachvollzogen werden kann. Das Bild von Menschen, die sich in Deutschland so nur einmal entwickeln konnten und die zugleich weiterhin unter uns sind.
Das Projekt brauchte deshalb auch nicht mit der "Wende" in der DDR als abgeschlossen betrachtet zu werden. Es hat nicht nur historischen Wert, sondern stellte in der Zeit der deutschen Wiedervereinigung eine sehr gegenwärtige Aufgabe dar.
Erbeten ist die Kenntnisnahme eines einzigartigen Stücks Film, das den Medien aus einer Landschaft überkommen ist, die sich nun einem größeren Europa öffnet und Dokument eines Staates ist, von dem Zelluloid etwas wie in einem Bernstein für künftige Zeiten bewahrt. Mit einem abschließenden Vierteiler, der die Zahl der Porträtierten auf 18 erhöhte, ist das Langzeitprojekt zwischen 2005 und 2007 beendet worden.
"Keine einzige Sensation in über vier Stunden Film - und doch sind diese ‚Lebensläufe' eine einzige Sensation" Tages-Anzeiger (Schweiz) 11. 2. 1983
Von 1962-81 machten sich die Golzow-Filme zuerst über die Leipziger Dokumentarfilmwoche international bekannt. Seit "Lebensläufe" (1982) auch im internationalen forum des jungen films vorgestellt wurde und die DDR Geschichte ist, fand die sogenannte "Weltpremiere" weiterer Filme zu den Berliner Filmfestspielen statt. Bei den Teilen 3 und 4 des abschließenden Filmes teilten sich beide Festivals die Uraufführung, was ungewöhnlich war und auch auf diese Weise für die Sache sprach.
Die DEFA-Stiftung macht es sich - zusammen mit der PROGRESS Film-Verleih GmbH, der Deutschen Kinemathek und den DVD-Anbietern ICESTORM/absolutMEDIEN - zur Aufgabe, die Traditionslinie des DEFA-Dokumentarfilms und damit ein Stück ostdeutscher Filmkultur bewahren zu helfen.
Im Unterschied zu "Drehbuch: Die Zeiten" und "Das Leben des Jürgen von Golzow", die ausschließlich aus Mitteln der Filmförderung realisiert wurden, war die ARD in Gestalt des ORB/RBB Koproduzent bei den nachfolgenden Filmen über Willy, Elke, Marieluise, Brigitte, Dieter, Jochen, Bernd und dem abschließenden Vierteiler "Und wenn sie nicht gestorben sind – dann leben sie noch heute..." über Jürgen (II), Petra, Christian, Ilona, Winfried, Elke (II), Karin, Gudrun, Bernhard und Eckhard.
Bei Willy, Elke und Marieluise war auch der NDR eingebunden, bei Brigitte und Dieter der SWR und bei Jochen der SFB.
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